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Indiens Optimist

Designer Hemant Sagar lässt in Indien unter fairen Bedingungen produzieren. Trotzdem bleibt kein Mitarbeiter länger als zehn Jahre – aus einem absurden Grund

Unmenschliche Arbeitsbedingungen, einstürzende Fabrikgebäude oder Kleidung, die von Kinderhänden genäht wird. Hört man die Wörter „Indien“ und „Mode“ in einem Satz, weckt dies in unseren Köpfen eher negative Assoziationen – die leider viel zu oft der Wahrheit entsprechen.

Gegen die schlechten Bedingungen in der Textilbranche anzukämpfen und der Welt die schönen Seiten des Landes zu zeigen, das hat sich der Designer Hemant Sagar zur Aufgabe gemacht. Früher waren er und sein Geschäftspartner Didier Lecoanet noch unter dem Logo „LH – Lecoanet Hemant“ eine Institution der Pariser Haute-Couture-Szene. Heute lebt das kreative Duo in Indien und zeigt, dass es von dort auch Mode gibt, die unter fairen Bedingungen produziert wurde.

„Die Konkurrenz in Indien hasst uns, weil wir ihre Diktatur kaputtmachen“, erzählt Sagar selbstbewusst. Denn seine Fabrik in der Nähe von Neu-Delhi, die von den Einheimischen nur „der weiße Elefant“ genannt wird, bietet den Arbeitern eher Bedingungen, die westlichen Standards entsprechen: Die Räume des knapp 10.000 Quadratmeter großen Gebäudes sind klimatisiert, sauber und enthalten sogar eine Kindertagesstätte. Außerdem sind die mittlerweile 400 Mitarbeiter festangestellt und bekommen ihr Gehalt zum Monatsende pünktlich ausgezahlt. Laut dem Designer sei dies eine Seltenheit in Indien. Es wäre eher üblich, dass die Leute nur tageweise eingestellt werden. Sicherheit und regelmäßige Lohnzahlungen würden viele Inder damit nicht kennen.

Schnell wird klar, wie wichtig Sagar das Thema der Arbeitskonditionen ist. Voller Enthusiasmus und Empathie spricht er über seine Bemühungen, die Inder über ihre Rechte aufzuklären – was nicht immer läuft, wie er es gern möchte. So haben seine Mitarbeiter durch den seltenen Luxus der Festanstellung die Möglichkeit, Rente vom Staat zu beziehen, die ihnen mit 60 Jahren ausgezahlt wird. Einzige Voraussetzung: Der Mitarbeiter muss mehr als zehn Jahre für das Unternehmen gearbeitet haben. Das würde vielleicht auch in Anspruch genommen werden, gäbe es da nicht dieses lukrative Schlupfloch. Kündigt der Arbeiter kurz vor der Zehn-Jahres-Marke, bekommt er eine Abfindung direkt bar ausgezahlt. „Wegen dieser Regelung kann ich keinen Mitarbeiter länger als zehn Jahre halten“, erklärt Sagar kopfschüttelnd. „Alle nehmen das Cash und wollen von einer Altersvorsorge überhaupt nichts wissen.“ Natürlich frustrierend für jemanden, der die Bedingungen im Land verbessern möchte. Irgendwo aber auch ein bisschen verständlich, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der Inder bei gerade mal 66 Jahren liegt und das Leben vorher meistens schon durch Armut geprägt ist.

Dass das Herz von Hemant Sagar ausgerechnet für Indien schlägt, kommt nicht von ungefähr. Dort lebte er bereits die ersten 15 Jahre seines Lebens als Sohn eines indischen Vaters und einer deutschen Mutter, bevor die Familie nach Berlin zog. Schon früh wusste er, dass er Modedesigner werden möchte: „Dieser Berufswunsch war zwar damals nicht so geläufig wie heute, aber meine Eltern haben mich trotzdem immer in ihm unterstützt.“ Um Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen, durchlief er Ausbildungen bei Europas damals größtem Blusenhersteller in Bielefeld, bei einem Haute-Couture-Atelier in Hannover und landete schließlich in Paris. In der Modemetropole lernte er auf der École de la Chambre Syndicale de la Couture Parisienne nicht nur die hohe Schneiderkunst, sondern auch seinen französischen Geschäftspartner Didier Lecoanet kennen. Gemeinsam gründeten sie in den 80er-Jahren das Label „LH“ und machten sich einen Namen in der Pariser Haute Couture Szene. Doch 17 Jahre später hatten die Designer keine Lust mehr. „Ich hatte das Gefühl, mich nur noch im Kreis zu drehen“, beschreibt Sagar heute die Entscheidung, Paris den Rücken zu kehren.

Das war im Jahr 2001. Mittlerweile führen Sagar und Lecoanet von Indien aus drei Modelabels unter ihrem Namen: Eine High-Fashion-Linie, die Prèt-à-Porter-Linie Genes und ihr neustes sowie wohl außergewöhnlichstes Label Ayurganic.

Dieses greift Wissen aus der indischen Lebens- und Gesundheitslehre Ayurveda auf: zum Beispiel das traditionelle Stofffärben. Die Baumwolle für die Kleidungsstücke wird dabei von ayurvedischen Ärzten, sogenannten Vaidyas, nach einem überlieferten Sieben-Schritte-Prozess unter anderem mit speziellen Kräutern und Ölen behandelt. Insgesamt dauert das für nur einen Wollballen etwa 15 Tage. Doch die aufwendige Prozedur lohnt sich, denn laut Sagar bleiben die Öle in der Kleidung und waschen sich auch nicht raus: „Sonst hört man ja immer, dass schädliche Chemikalien von der Kleidung in die Haut dringen können – bei Ayurganic sind es aber die guten, natürlichen Stoffe“. Neben dem Wort „Ayurveda“ steckt im Namen des Labels außerdem noch das Wort „organic“. Diesem werden die Designs nicht nur durch die zertifizierte Bio-Baumwolle gerecht, sondern auch dadurch, dass die verwendeten Bindfäden ebenfalls aus reiner Baumwolle bestehen und die Knöpfe an den Kleidungsstücken aus Kokosnuss sind. Bloß keine Spur von Synthetik!

Redet der deutsch-indische Designer über die alte indische Lehre und die Natürlichkeit von Ayurganic, sprudeln die Worte förmlich aus ihm heraus. An Begeisterung fehlt es ihm offensichtlich nicht. Ebenso wenig an Authentizität: Bereits zu seinen Haute-Couture-Zeiten erregte er zusammen mit Lecoanet Aufsehen mit einer Kollektion, die sie komplett aus natürlichen Materialien kreiert hatten. Und auch privat legt das Duo Wert auf einen organischen Lebensstil – vor allem bei der Ernährung.

Das Label Ayurganic scheint das Ergebnis dieser lange gepflegten Verbindung der beiden Designer zur Natur zu sein. Dabei herausgekommen ist eine komplett cremefarbene Kollektion, mit geradlinigen und weiten Schnitten. Es ist vor allem keine Haute Couture, aber auch keine Alltagskleidung – sondern „Allabendkleidung“, wie der 58-jährige Sagar sie bezeichnet. Die insgesamt elf Kleidungsstücke für Frauen und Männer seien also nicht für die Straße sondern eher für die Momente gedacht, in denen man in sich zurückkehren möchte: ob daheim, beim Yoga oder in der Nacht.

Durch diese in Indien produzierte Mode, die von den Materialien bis hin zur Produktion nachhaltig und fair ist, wollen die Designer die negativen Bilder des Landes aus den Köpfen verdrängen und Platz für positive machen. Denn „die Schönheit Indiens darf einfach nicht mehr übersehen werden“, sagt Sagar. Auch trotz oder gerade wegen der oftmals erschreckenden Schlagzeilen.

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