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Weltweite Studie Länger leben, länger leiden

Die Menschheit wird immer älter, doch das bezahlt sie mit einem hohen Preis. Eine aktuelle Studie zeigt, wie unterschiedlich die Lebenserwartung weltweit verteilt ist - und wie viel Zeit wir mit Krankheiten leben.
Das Leben bis ins Alter genießen: Möglichst gesund altern, ist eine der Herausforderungen der Zukunft

Das Leben bis ins Alter genießen: Möglichst gesund altern, ist eine der Herausforderungen der Zukunft

Foto: Marijan Murat/ picture alliance / dpa

Jahr für Jahr fällt dieselbe Floskel, wenn das Alter nach oben klettert: "Ich wünsche dir ein langes und gesundes Leben." Eine weltweite Studie im Fachmagazin "The Lancet"  macht jetzt deutlich, wie wichtig vor allem der zweite Teil dieses einfach dahingesagten Wunsches ist.

Laut der Global Burden of Disease Study 2013 werden die Menschen immer älter. In den 23 Jahren zwischen 1990 und 2013 ist die weltweite Lebenserwartung um 6,2 Jahre gestiegen. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse aber, dass die gewonnenen Jahre häufig mit einem hohen Preis bezahlt werden: Sie gehen zu Lasten der eigenen Gesundheit.

Für ihre Analyse sammelten Wissenschaftler Informationen zu 306 Krankheiten in 188 Ländern, alles für den Zeitraum von 1990 bis 2013. Wie viele Menschen erkrankten an dem jeweiligen Leiden? Wie lange hielt die Krankheit an, wie sehr waren die Betroffenen eingeschränkt? Und: Wie viele starben daran, noch bevor sie die Lebenserwartung ihres Landes erreicht hatten?

Sieben Erkenntnisse aus dem globalen Datenschatz:

1. Länger leben, länger krank: Während im Jahr 1990 geborene Menschen im Schnitt 65,3 Jahre vor sich hatten, waren es 2013 bereits 71,5 Jahre. In guter Gesundheit verbringen die 1990 Geborenen davon jedoch im Schnitt nur 56,9 Jahre, 2013 waren es 62,3 Jahre. Die Krankheitszeit nahm somit von 8,4 Jahren zu Beginn auf 9,2 Jahre zum Ende der Untersuchungsperiode zu.

Je stärker die Lebenserwartung steigt, desto größer ist die Lücke zwischen der Lebenserwartung und gesunder Lebenszeit. Deutschland ist da kein Sonderfall: Hierzulande haben Menschen, die 2013 geboren wurden, laut den Daten eine Lebenserwartung von 80,7 Jahren. Gesund sind sie davon aber lediglich 68,8 Jahre.

2. Frauen bleiben länger gesund: In allen untersuchten Ländern hatten die Männer 1990 statistisch gesehen weniger als 70 gesunde Lebensjahre vor sich. Bei den Japanerinnen war das zu diesem Zeitpunkt schon anders. Im Jahr 2013 starteten Frauen bereits in mehr als 40 Ländern in ein mindestens 70 Jahre lang gesundes Leben, bei den Männern war dies nur in Singapur und Japan der Fall.

3. Die vernachlässigten Altersleiden: Ursache für die ungesunden zusätzlichen Lebensjahre sind oft nicht Krankheiten von Herz und Kreislauf oder Krebs, schreiben die Forscher. Stattdessen listen sie Leiden wie Diabetes, Muskel- und Skeletterkrankungen, mentale Krankheiten, Suchtprobleme, neurologische Erkrankungen sowie Hör- und Sehverlust auf.

In der alternden Gesellschaft würden diese Leiden immer wichtiger, schreiben die Wissenschaftler. Trotzdem haben ihre Therapien laut der Analyse zwischen 1990 und 2013 kaum Fortschritte gemacht. "Sehr wenige Krankheiten erhalten die Aufmerksamkeit, die sie verdient haben", kritisieren die Forscher.

Rangliste der häufigsten Ursachen für Krankheitsjahre im Jahr 1990

1. Atemwegsinfektionen
2. Koronare Herzerkrankung und Herzinfarkte
3. Durchfallerkrankungen
4. Durchblutungsstörungen des Gehirns
5. Frühgeburt
6. COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung)
7. Rückenschmerzen
8. Tuberkulose
9. Verkehrsunfälle
10. Erkrankungen des Gehirns bei Neugeborenen
11. Malaria
15. Depressionen
16. Diabetes
Quelle: The Lancet, GBD 2013

Rangliste der häufigsten Ursachen für Krankheitsjahre im Jahr 2013

1. Koronare Herzerkrankung und Herzinfarkte
2. Durchblutungsstörungen des Gehirns
3. Atemwegsinfektionen
4. Rückenschmerzen
5. COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung)
6. Durchfallerkrankungen
7. Verkehrsunfälle
8. Frühgeburt
9. HIV/Aids
10. Malaria
11. Depressionen
16. Tuberkulose
24. Alzheimer
Quelle: The Lancet, GBD 2013

4. Seltener Infektionen, häufiger Krebs, Herzkrankheiten und Diabetes : Noch Anfang der 1990 Jahre belasteten Probleme rund um die Geburt, Infektionskrankheiten und Mangelernährung die Menschheit gesundheitlich am stärksten. Dies hat sich 1994 gewandelt. Seitdem sorgen nicht übertragbare Krankheiten wie Herz- und Kreislaufleiden, Krebs, Rückenschmerzen, Diabetes und Depressionen weltweit für die größte Krankheitslast.

Grund für die steigenden Zahlen sei nicht, dass das grundsätzliche Risiko für diese Krankheiten zugenommen habe, schreiben die Forscher. Sie sehen stattdessen die alternde und wachsende Weltbevölkerung als Ursache. Hinzu kommt, dass gerade unter Infektionskrankheiten heute deutlich weniger Menschen leiden, als es noch vor 25 Jahren der Fall war.

5. Deutschland schmerzt der Rücken: In Deutschland belegen Rücken- und Nackenschmerzen Platz eins in der Liste der Krankheiten, unter denen die Menschen am stärksten leiden. Erst an zweiter Stelle kommen Herzkrankheiten infolge von Durchblutungsstörungen (wie Herzinfarkte), an dritter Stelle stehen Schlaganfälle und an vierter Beschwerden der Sinnesorgane.

6. Die HIV-Epidemie: Die Zahlen spiegeln wider, wie sehr das HI-Virus die Gesundheitssysteme weltweit herausgefordert hat. Sie zeigen aber auch, dass der medizinische Fortschritt die Erkrankung zwar nicht heilen, ihr aber einen Teil ihres Schreckens nehmen konnte. Zwischen 1990 und 2013 hat sich das Leiden durch HIV und Aids laut den Zahlen weltweit mehr als verdreifacht, das ist bei keiner anderen Krankheit der Fall. Die Kurve zeigt mittlerweile jedoch wieder nach unten: Zwischen 2005 und 2013 sank die Krankheitslast durch das Virus weltweit um knapp 24 Prozent.

7. Der Einfluss der Armut: Trotz vieler positiver Entwicklungen gab es Dutzende Länder, darunter Botswana, Belize und Syrien, in denen die Lebenserwartung zwischen 1990 und 2013 nicht signifikant gestiegen ist. Hinzu kommt, dass in Ländern mit einem niedrigen sozioökonomischen Status Durchfallerkrankungen, Infektionen der unteren Atemwege und andere Infektionskrankheiten noch immer deutlich häufiger sind.

Was sich aus den Daten lernen lässt:

Das von den Forschern analysierte Datenpaket ist riesig, die Methoden sind komplex. Entsprechend sollten die Ergebnisse - gerade wenn es um Details in den einzelnen Ländern geht -, noch einmal in gezielteren Studien überprüft werden.

Gleichzeitig bietet die globale Sicht jedoch auch die Möglichkeit, große Probleme zu erkennen: Sogar in einigen der ärmsten Ländern - darunter Nicaragua und Kambodscha - ist die Lebenserwartung innerhalb der untersuchten Zeit um mehr als zehn Jahre gestiegen. Dennoch sterben noch immer viele Menschen an Krankheiten, die durch die richtigen Medikamente, ausreichend Essen und Hygiene vermeidbar wären.

Hinzu kommt, dass sich die Forschung in den vergangenen Jahren hauptsächlich auf Herz-Kreislauf-Leiden, hormonelle Erkrankungen und Krebs konzentriert hat - und auch die Todeszahlen vieler Krankheiten senken konnte. "Wir glauben, dass das aus historischer Sicht richtig war", schreiben die Forscher. "Der gesundheitliche Fortschritt und die alternde Gesellschaft fordern jetzt jedoch auch, dass man mehr Forschung in Krankheiten investiert, die schwächen und nicht töten."

Und: Bei vielen Krankheiten macht sich der medizinische Fortschritt bemerkbar. Zwischen 1990 und 2013 haben 16 der 25 Krankheiten, die weltweit die meisten Probleme bereiten, einen Teil ihres Schreckens verloren. Trotzdem ist die weltweite Krankheitslast in derselben Zeit nur um 3,6 Prozent gesunken. Grund dafür ist die wachsende, alternde Bevölkerung. "Die Herausforderungen für die Gesundheitssysteme bleiben hoch", schreiben die Forscher.

Zusammengefasst: Die Lebenserwartung ist weltweit seit 1990 um mehr als sechs Jahre gestiegen. Je älter ein Mensch wird, desto länger ist jedoch im Schnitt auch die Zeit, die ihn Krankheiten schwächen. Zu den häufigsten Todesursachen zählen Herzinfarkte, Erkrankungen der unteren Atemwege und der Schlaganfall.

Zur Autorin
Foto: Jeannette Corbeau

Irene Berres, studierte Wissenschaftsjournalistin, hat sich auf Themen rund um den Körper spezialisiert. Sie ist Redakteurin im Ressort Wissenschaft und Gesundheit bei SPIEGEL ONLINE.