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Island-Fans: EM-Aus vorm Fernseher

Foto: SPIEGEL ONLINE

Fernsehabend mit Island-Fans "Nei, nei!"

Fünf Tore kassiert Islands Keeper Halldorsson gegen Frankreich. In einem Wohnzimmer in Reykjavik verfolgen seine Freunde, wie das EM-Märchen des Außenseiters endet.

"Und was machen wir jetzt nächste Woche?" Johanna Stefansdottir sitzt vor dem Fernseher in einem Wohnzimmer in Reykjavik, neunter Stock, der Wind zerrt an den isländischen Fahnen auf dem Balkon. Das 2:5 ihrer Mannschaft gegen Frankreich schmerzt, das sieht man ihr an. Verlieren, okay. Aber müssen es gleich so viele Gegentore sein?

Johanna Stefansdottir und fünf weitere Freunde des isländischen Torwarts Hannes Halldorsson schauen das Spiel gemeinsam an. Sie haben ihre Kinder mitgebracht, sogar das drei Monate alte Baby trug ein Trikot. Birna backte Quesadillas in der Pfanne, es gab Chickenwings und Guacamole.

Alle sind so aufgeregt, dass sich anfangs niemand auf das senfgelbe Sofa setzen will. Okay, es war nicht wahrscheinlich, dass Island Frankreich schlagen würde. Aber das war es gegen England ja auch nicht. Nach den märchenhaften Siegen der vergangenen Wochen schien plötzlich alles möglich. "Wir hatten uns schon überlegt, wie wir nach Marseille zum Halbfinale kommen", sagt Baldur Kristjansson. Das hatten sie Keeper Hannes versprochen, falls Island es dorthin schafft.

Vor dem Spiel gegen Frankreich legte Baldur extra ein paar Bierflaschen in die Badewanne, um die alten Etiketten abzubekommen. Jetzt kleben neue Etiketten drauf, die er selbstgedruckt und ausgeschnitten hat. Sie zeigen Hannes Halldorsson. "Afram Island" steht darüber: "Auf gehts, Island."

Die Freunde sind in den Dreißigern, sie kennen Hannes seit der Schule. Sie mögen ihn, weil er ein "ehrlicher Kerl" ist - und weil er, wenn sie zusammen sind, immer noch so ist wie mit 18. Seine Freunde sind stolz auf ihn, weil er sich durchgebissen hat nach seiner Schulterverletzung im Oktober, um zur EM fahren zu können. So wie er seit der Schule alles dafür tat, um ein erfolgreicher Torwart zu werden.

Hannes Thor Halldorsson

Hannes Thor Halldorsson

Foto: Peter Kneffel/ dpa

Halldorssons Freunde geben Islands Mannschaft bis zum Schluss nicht auf. In der 89. Minute läuft ein Franzose mit dem Ball aufs isländische Tor zu. "Nei, nei!", ruft Johanna und hält die Hände vors Gesicht. Es fällt kein sechstes Tor, Johanna atmet auf und lehnt sich im Sessel zurück.

Eigentlich ist das Märchen schon seit der Halbzeit vorbei. Doch ein kleiner Zauber scheint zu bleiben. Baldur wünscht sich Mitte der zweiten Halbzeit "nur noch ein Tor, damit es in Würde endet". Als es dann fällt, ruft Johanna zaghaft "Afram Island".

Natürlich sind sie dankbar, dass Island so unglaublich gut gespielt hat. Aber trotzdem ist es schmerzhaft, auszuscheiden. Plötzlich ist das Thema weg, um das sich in Island in den vergangenen Tagen alles drehte. "Wir haben nur über Fußball geredet", sagt Johanna, "und gar nicht übers Wetter. Sonst jammern wir ständig über den schlechten Sommer."

Als wäre ihr etwas eingefallen, schaut sie von ihrem Sessel hoch und zum Fenster hinaus. Draußen scheint um neun Uhr abends noch die Sonne, der Himmel ist fast wolkenlos blau. "Hey, der Sommer ist ja gar nicht so schlecht", sagt sie und lächelt. "Vielleicht gehen wir jetzt mal raus und genießen den Rest davon."

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