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Tricks der Lebensmittelindustrie So künstlich sind natürliche Aromen

Natürliche Lebensmittel liegen im Trend. Viele Hersteller werben deshalb mit naturbelassenen Zusatzstoffen. Tatsächlich sind viele dieser Stoffe alles andere als natürlich - und einige schlichtweg unappetitlich.

Immer mehr Menschen lechzen nach Natürlichkeit. Nach Produkten ohne künstliche Zusatzstoffe. Im Supermarkt greifen deshalb viele bevorzugt zu Produkten, die etwas von dieser heilen Welt in Aussicht stellen: zu Marmeladengläsern, die aussehen, als wären sie von Oma abgefüllt worden, und Müslischachteln, auf denen sich Weizenähren ranken.

Selten waren Verbraucher so sehr auf Naturbelassenheit fixiert wie in diesen Tagen. "Natürlichkeit und Regionalität sind in jüngster Zeit zu wichtigen Trends geworden", schreibt die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) auf ihrer Seite. Die Riesen der Lebensmittelindustrie bringt das in gewisse Bedrängnis. Denn: Lebensmittel sind genormte Massenwaren, die mit Bauernhofidylle oder Großmutters Backstube kaum etwas gemein haben.

Künstlich klingende Begriffe schrecken Verbraucher ab

Die Lebensmittel von heute müssen in erster Linie drei Eigenschaften erfüllen: lange gut schmecken, gut aussehen und gut riechen. Um das zu erreichen, konservieren Hersteller, sie färben und aromatisieren. Dabei kommen Substanzen mit unschönen Namen zum Einsatz: Calciumcarbonat, Äthylvanillin, Ammoniumchlorid. Bezeichnungen, die potenzielle Kunden abschrecken könnten. Was also tun?

Einige Konzerne treten die Flucht nach vorne an: Statt den Blick der Verbraucher auf die Zutatenliste zu lenken, betonen sie lieber, was nicht in ihren Produkten steckt - oder schon bald nicht mehr stecken wird. Vor kurzem verkündete der Frühstücksriese Kellogg’s, dass er weltweit künstliche Zusatzstoffe aus den Frühstücksflocken verbannen wolle. Bis spätestens Ende des Jahres 2018 soll das der Fall sein. Auch Nestlé will Schokoriegel in den USA künftig ohne künstliche Aromen und Farbstoffe herstellen. Entsprechende Aufdrucke auf den Verpackungen sollen diese Botschaft zu den Verbrauchern tragen.

Von Natürlichkeit fehlt jede Spur

Mittlerweile gibt es auch in Deutschland zahlreiche Siegel, auf denen eben das hervorgehoben wird, was nicht im Produkt enthalten ist. Im Fachjargon heißen sie "Clean Label". Viele sind in Grün gehalten, Blätter und Pflanzen ranken sich auf ihnen. Sie versprechen Natürlichkeit - doch können sie in den wenigsten Fällen halten.

Der Grund: Auch Produkte, die laut Label "ohne künstliche Aromen" auskommen, enthalten meist Aroma. Von vier "ohne"-Produkten sind das immerhin drei. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung der Verbraucherzentrale. Diese natürlichen Aromastoffe gelten laut Gesetz zwar nicht als künstlich, werden teilweise aber auch im Labor hergestellt. Hinzu kommt: Natürliche Aromen müssen lediglich aus einem natürlichen Ausgangsstoff stammen, nicht aber zwingend aus dem Lebensmittel, nach dem sie schmecken.

Vanille-Aroma aus Ferulasäure

Beispiel: Vanillin. Der Hunger nach dem Aromastoff der Vanilleschote ist weltweit groß. Der Verbrauch liegt bei jährlich rund 15.000 Tonnen. Die Produktion kann diesen Bedarf bei weitem nicht decken. Vanillin aus der echten Vanilleschote ist daher knapp und teuer. Also haben Hersteller andere Verfahren entwickelt, um den Aromastoff nachzubilden - und die sind nicht immer appetitlich.

Vanille-Aroma lässt sich beispielsweise aus Überresten der Reisverarbeitung, sogenannter Kleie, herstellen. In der Reiskleie steckt Ferulasäure, die mithilfe von Mikroorganismen in Vanillin umgewandelt wird. Und weil Reis ein Naturprodukt ist, darf auch das daraus hergestellte Aroma als "natürlich" deklariert werden - obwohl das Produkt nie mit einer echten Vanilleschote in Berührung gekommen ist. "Verbraucher haben da oft eine andere Erwartung und fühlen sich getäuscht", so die Verbraucherzentrale.

Schimmel ist flexibel einsetzbar

"Natürliches Aroma", das nach Himbeere schmeckt, lässt sich aus Zedernholz oder mithilfe von Essigsäurebakterien aus Hopfen gewinnen. Und der Geschmack von Erdbeeren stammt häufig aus Buchweizenstelzen. Apfel-Aroma wird aus Weinfuselöl, Tagetesöl und Hefeöl-Destillat gewonnen - und mit einem Schuss biotechnologisch hergestelltem Äthylacetat abgerundet. Auch die Geschmacksrichtungen Pfirsich, Kokos, Nuss oder Bratkartoffel lassen sich "natürlich" herstellen: mittels Schimmelpilzkulturen.

Dies seien nur einige wenige Beispiele, sagt Christian Niemeyer, der Leiter des Deutschen Zusatzstoffmuseums in Hamburg. "Im Prinzip werden alle möglichen Mittel verwendet." Dass Lebensmittelhersteller seit neuestem offensiv mit vermeintlich natürlichen Inhaltsstoffen werben, sieht er durchaus kritisch. "Allein die Auslobung, dass nur natürliche Aromen enthalten sind, bringt dem Verbraucher keine höhere Qualität." Im Gegenteil: Oftmals handelt es sich um eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten, da künstliche Aromastoffe ohnehin nur bei sehr wenigen Lebensmittelgruppen eingesetzt werden dürfen, für bestimmte Erfrischungsgetränke etwa.

Wer auf der Suche nach unverfälschtem Geschmack ist, sollte sich also nicht von "Clean Labeln" beeinflussen lassen, sondern die Zutatenliste der Produkte studieren: Die Bezeichnung "Natürliches Erdbeer-Aroma" garantiert, dass der Aromabestandteil zu immerhin 95 Prozent aus echten Erdbeeren stammt. Bei natürlichen Aromen, die aus anderen Ausgangsstoffen hergestellt wurden, ist eine Bezugnahme auf den Geschmack der Erdbeere nicht erlaubt: Auf der Inhaltsliste steht dann lediglich "natürliches Aroma".

ikr

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