Staatstrojaner-Affäre
«Mario Fehr war nur ausführende Person»

Kantonsratskommissions-Bericht entlastet den Zürcher Sicherheitsdirektor grossteils.

Matthias Scharrer
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Die Geschäftsprüfungskommission des Zürcher Kantonsrates schützt Mario Fehr.

Die Geschäftsprüfungskommission des Zürcher Kantonsrates schützt Mario Fehr.

Keystone

Der Zürcher Regierungsrat Mario Fehr (SP) ist bei der Beschaffung einer auch als Staatstrojaner bekannten Spionagesoftware ordnungsgemäss vorgegangen. Zu diesem Schluss kommt die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Kantonsrats in ihrem gestern veröffentlichten Bericht über die Beschaffung und den Einsatz von Government Software (GovWare) im Kanton Zürich.

Referendum gegen Gesetzesrevision lanciert

Als Staatstrojaner wird eine Spionagesoftware bezeichnet, mit der der Staat bei Ermittlungen gegen mutmassliche Verbrecher vorübergehend gezielt einzelne Computer und Smartphones überwachen und sich Zugriff auf deren ein- und ausgehende Kommunikation verschaffen kann, konkret etwa auf E-Mails, Chats, SMS, Telefonate. Da diese Kommunikation verschlüsselt ist, lässt sie sich nicht mit herkömmlichen Methoden überwachen. Ob der Einsatz von Staatstrojanern, auch Government Software («GovWare») genannt, mit dem bislang in der Schweiz geltenden Recht zulässig ist, ist umstritten. Der Bund hat allerdings das Gesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) im März dieses Jahres revidiert. Mit dem revidierten Gesetz wäre der Einsatz von GovWare bei schweren Straftaten zulässig. Es ist aber noch nicht in Kraft. Ein Referendumskomitee sammelt Unterschriften dagegen. (Mts)

Fehr war letzten Sommer in die Schlagzeilen gekommen, weil er als Sicherheitsdirektor die Anschaffung von GovWare für die Kantonspolizei bei der italienischen Firma Hacking Team bewilligt hatte. Das zunächst geheime Geschäft flog auf, nachdem die Computer der Firma gehackt worden waren. Die Zürcher Juso reichten in der Folge Strafanzeige gegen Fehr ein. Ihr Vorwurf: Fehr habe die Software ohne ausreichende Rechtsgrundlage beschafft. Fehr sistierte daraufhin seine SP-Mitgliedschaft vorübergehend. Nachdem die Kantonsrats-Geschäftsleitung vergangenen November eine Aufhebung von Fehrs Immunität ablehnte, liessen die Juso ihre Anzeige gegen ihn fallen.

In der Folge konnte die GPK ihre Untersuchung der Staatstrojaner-Affäre aufnehmen. Fazit: «Mario Fehr war nur ausführende Person», wie GPK-Präsident Daniel Hodel (GLP) gestern vor den Medien sagte. Die GPK betont in ihrem Bericht, dass der Ausgangspunkt für die Beschaffung der GovWare eine durch das Zwangsmassnahmengericht des Zürcher Obergerichts genehmigte Anordnung der Staatsanwaltschaft gewesen sei. Fehrs Handlungsspielraum sei daher klein gewesen. «Eine Verweigerung wäre keine sinnvolle Option gewesen», heisst es im GPK-Bericht. Die GovWare diene nur für gezielte Ermittlungen in schweren Verbrechensfällen und nicht für flächendeckende Überwachung.

Ob die Beschaffung rechtens war, lässt die GPK offen. Sie hält aber fest: Unter den gegebenen Umständen sei es unsicher, ob die von der Kantonspolizei Zürich mittels GovWare erhobenen Daten als gerichtsrelevante Beweise Gültigkeit hätten. Zur Frage, ob die umstrittene Software überhaupt zum Einsatz kam, wollte sich Hodel nicht äussern. Begründung: Das Verfahren, bei dem die Kantonspolizei Zürich sie einsetzen wollte, laufe noch.

Datenschützer wünschte Gespräch

«Befremdet» zeigt sich die GPK über die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsdirektion und kantonalem Datenschutzbeauftragten. Letzterer hatte die Rechtmässigkeit der Software-Beschaffung infrage gestellt und vergangenen November schriftlich eine Aussprache mit Sicherheitsdirektor Fehr erbeten. In dem Schreiben wies er laut GPK-Bericht auch darauf hin, dass die Kantonspolizei in den vergangenen Jahren vermehrt neue Technologien eingesetzt habe, die erhebliche Eingriffe in Grundrechte darstellten, ohne diese dem Datenschutzbeauftragten zur Vorabkontrolle zu unterbreiten. Als Beispiele führte der Datenschützer Verkehrskameras an, die automatisch Nummernschilder erfassen, sowie sogenannte Imsi-Catcher, die den Standort aller Mobilfunkgeräte im näheren Umfeld erfassen.
Fehr sei jedoch auf das Gesprächsangebot des Datenschützers nicht eingegangen. Stattdessen habe sich ein langer Briefwechsel entwickelt. «Es dürfte zumindest erwartet werden, dass der Sicherheitsdirektor und der kantonale Datenschutzbeauftragte in einem klärenden Gespräch Lösungswege zur Bereinigung der Differenzen suchen würden», moniert die GPK. «Der durchgeführte Briefverkehr ist dazu absolut ungeeignet.»

Was die GovWare betrifft, betont die GPK, die Strafverfolgungsbehörden seien bei der Aufklärung schwerster Straftaten darauf angewiesen. «Die Kommunikation läuft heute vorwiegend verschlüsselt ab. Nur mit dem Einsatz von entsprechender GovWare ist eine Überwachung möglich.» Wenn das vom Bund im März revidierte Gesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in Kraft trete, sei die rechtliche Grundlage für den Einsatz von GovWare eindeutig vorhanden. Fehr erwäge, mit anderen Kantonen und allenfalls mit Hochschulen eine Verbundlösung für die eigene Entwicklung solcher Software anzustreben. Aus Sicht der GPK ist eine solche Lösung weiterzuverfolgen.

Kritik von Grünen und AL

Der GPK-Bericht wird voraussichtlich noch vor den Sommerferien im Kantonsrat beraten. Einen Vorgeschmack geben erste Parteireaktionen: «Die GPK bewegt sich auf dünnem Eis», kritisieren die Grünen. «Ob der Einsatz von GovWare zum Zeitpunkt des Kaufs legal war, hätte zwingend vorher abgeklärt werden müssen.» Die AL betont Mario Fehrs Verantwortung, da die ihm unterstellte Kantonspolizei Ausgangspunkt der GovWare-Beschaffung gewesen sei. Die SP zeigt sich mit dem GPK-Bericht zufrieden und spricht sich dafür aus, dass der Staat bei Bedarf GovWare selbst produzieren soll: «Nur so kann die Abhängigkeit von (zweifelhaften) privaten Herstellern und das Eingehen von Sicherheitsrisiken vermieden werden.» Die Juso ist «überzeugt, dass die Anzeige der richtige Weg war.» Fehr nimmt den GPK-Bericht «mit Befriedigung zur Kenntnis», wie er per Communiqué mitteilte. Ausführlich wolle er ihn erst bei der Debatte im Kantonsrat kommentieren.